Sonderglocken

So individuell wie jeder einzelne eine Glocke hört, so individuell ist auch die Glocke selbst. Sie ist ein Unikat in Erscheinungsbild und Klangcharakter. Auch wenn man von einer Glocke die beste Kopie anfertigt, so klingt sie nicht so, wie ihre Zwillingsschwester. “ Soll die Glocke auferstehn, muß die Form in Stücke gehn “

Zitat aus Friedrich Schillers Glocke.

Diese Tatsache verdeutlicht den in den beiden Weltkriegen entstandenen kulturellen Schaden. Sehr viele Glocken wurden aus den Türmen geholt und zu Kanonen umgegossen, da sich die Glockenbronze dafür eignet. Deshalb gibt es aber auch Glocken, die mit Ersatzstoffen damals aus der Not heraus gegossen wurden, wie z. B. Stahl oder die Briloner Sonderbronze. Stahlglocken haben einen harten Klang und sind mächtig in ihrem Charakter im Vergleich zur weich klingenden Bronze. Dabei haben sie aber eine angenehme Eigenschaft: Sie sind fast unverwüstlich, überstehen Kirchturmbrände und nehmen einem falsches Läuten nicht so schnell übel, wo Bronzeglocken längst den Geist aufgeben. Jedoch ist hier der Stahlgrauguß vom normalen Stahlguß zu unterscheiden. Stahlgraugußglocken haben nur eine Lebensdauer von 80 Jahren. Der richtige Stahlguß vom “Bochumer Verein”, einer Glockengießerei in Bochum, hat die eben genannten unverwüstlichen Eigenschagften.                            ( Quelle: Fachliteratur, Theo Fehn: Der Glockenexperte

Bei der Briloner Sonderbronze, die fast die gleichen Klangeigenschaften wie die normale Glockenbronze hat, ist der Zinnanteil durch Silizium ersetzt worden. Genauer gesagt: 92%Cu, 6.6%Si, 0.8%Zn, 0,4%Fe, 0.2%Pb.                                                     ( Quelle: Kurt Kramer: Glocken in Geschichte und Gegenwart ).

Weiter wurde die traditionelle Tonform durch Formsand ersetzt. Dadurch konnte der Briloner Glockengießer Herr Junker nach Kriegsende um ca. 1/3 wesentlich billiger produzieren und wo bei anderen Gießereien nur ein Glockenguß im Monat war, hatte Herr Junker gleich 4 Stück. Darüber sind die Glockengießer heute noch sauer. Das Produkt war gut, hat aber den Nachteil, daß sich beim Gießen leicht Rückstände im Metall bilden und die Glocken dann nicht so gut klingen. Teilweise wurde die Glockenschmelze auch schon mal mit anderen Beigaben gestreckt, z.B. mit Blei. Solche gestreckten Schmelzen kamen aber auch schon früher vor. Wenn alte Glocken dumpf klingen, dann hat hier der Gießer in die eigene Tasche gewirtschaftet. Auch besonders “hochwertige” Streckmittel, also gespendetes Gold und Silber, verschwand oftmals nicht im Schmelztopf, wie z.B. beim berühmten Attendorner Glockenguß, sondern auch in den Taschen der Gießer. Wegen der “billigen” Streckmitteln gibt es unter den Sonderbronzegeläuten neben guten Klangkörpern auch ein paar besonders “ gute Krücken “. Das Gießen mit Sonderbronze ist also risikobehafteter und in unserer heutigen Zeit nicht mehr angemessen im Bezug auf die Reinheit und Perfektionierung des Klanges. Darum hat auch diese Gießerei in den 60 Jahren den Glockenguß eingestellt und existiert heute nicht mehr.

Ähnliche Experimente machte eine Firma in Erding, die aber nur Silicium verwendete. Nachträgliche Tests in heutiger Zeit mit “hochwertigen Streckmitteln” wie Gold o.ä. ergaben aber keine Verbesserung.  

(Quelle: Firma Hans Lachenmeyer, Nördlingen Schweißwerk für Kirchenglocken)

Bild Stahlglocken: Eindeutig zu erkennen an der oxidierten, rostigen Oberfläche. Auf den Klööpeln sitzen Bronzebacken, die regelmäßig rundförmig nachgeschliffen werden müssen, sonst klingen die Glocken schepperig.